Im folgenden Debattenbeitrag schildert Dennis Schmolk, wie er (als juristischer Laie) das Urteil des LG Berlin zum Facebook-Erbe und die Berichterstattung zur Berufung wahrnimmt – und was er daran auszusetzen hat
Worum geht’s?
Inhalt
Das Landgericht Berlin hat in erster Instanz entschieden, dass die Eltern eines verstorbenen Mädchens vollständigen Zugriff auf dessen Facebook-Konto erhalten sollen. Facebook muss diesen Zugriff unabhängig von anderen Faktoren gewähren.
Das bedeutet, dass laut LG Berlin die „Gedenkzustand“-Funktion von Facebook nicht rechtens ist, da sie den Zugang zum Account dauerhaft unmöglich macht. Die Berufung von Facebook landet nun vor dem Berliner Kammergericht.
Probleme des Falles
Im vorliegenden Fall geht es um den vermuteten Suizid einer Minderjährigen. Das Mädchen wurde von einer U-Bahn erfasst. Der Fahrer des Zugs möchte Schmerzensgeld von den Eltern (und gleichzeitigen Erben), sodass diese nicht nur ein persönliches, sondern auch ein monetäres Interesse an der Klärung des Falls haben könnten.
Man kann also nicht von einem grundsätzlichen Präzedenzfall zu digitalem Nachlass ausgehen, da das Gericht bei einem volljährigen Nutzer ggf. anders geurteilt hätte und der Suizid-Verdacht eine vermögensrechtliche Bedeutung möglich erscheinen lässt. (Zur Frage, was das mit dem Erbrecht zu tun hat, siehe hier.)
Mein Problem mit dem Urteil
Prinzipiell halte ich es für problematisch, dass das Recht der Kommunikationspartner der Verstorbenen auf Kommunikations-Vertraulichkeit durch dieses Urteil bis zur Nichtigkeit eingeschränkt wird. Die Eltern können jede Nachricht, jedes nicht-öffentliche Posting lesen; sie erhalten durch die „Übernahme“ des Kontos auch Zugriff auf Bereiche von Facebook, die normalerweise nur speziell legitimierten Nutzern zugänglich sind (also bspw. geheimen Gruppen oder Administrationsbereichen von Seiten). Das berührt auch die Privatsphäre von Menschen, mit denen die Verstorbene nie zu tun hatte.
Um ein Beispiel aus der analogen Welt zu bemühen: Das ist so, als würden die Erben auch den Zugang zur Freundes-Clique und Aufzeichnungen von deren Gesprächen erben – oder die Geheimnisträger-Funktion eines Vereinsmitglieds (bspw. bei einer Seelsorge-Einrichtung).
Die Schwächen des „Briefgeheimnis“-Vergleichs
Vielfach wird eingewandt, dass das analoge Briefgeheimnis mit dem Tod des Korrespondenten erlischt. Das ist richtig, folgt aber ja eher der pragmatischen Idee: Wer als Erbe die Schlüsselgewalt zur Wohnung und damit zum Briefkasten hat, sich um die Korrespondenz ohnehin kümmern muss, der muss auch das Recht dazu haben.
Im Digitalen ist das anders. Erstens hat derjenige, der die Zugangsgewalt über den Rechner hat, noch lange keinen Zugriff auf dessen Inhalt, erst recht nicht auf Dienste, die von diesem Rechner aus genutzt wurden.
Zweitens werden bei elektronischer Kommunikation standardmäßig Sicherheitsfunktionen benutzt, die eindeutig der Zugangskontrolle dienen. Facebook-Messenger-Nachrichten sind bspw. verschlüsselt, sie können und sollen nicht von jedermann gelesen werden können. Hieraus lässt sich u.U. ableiten, dass der Nutzer keinen Zugriff Dritter wünscht, auch nicht seiner berechtigten Erben.
Drittens hinkt der Vergleich mit Briefen auch da, wo es um die Vollständigkeit der Kommunikation geht: Im Digitalen habe ich normalerweise immer beide Seiten der Unterhaltung; bei Briefen existiert fast immer nur eine Seite der Korrespondenz, nämlich die empfangene.
Und auch im Analogen gibt es Einschränkungen. Ich habe als Erbe nicht gegen jeden Kommunikationspartner des Erblassers das Recht, alle jemals versandten oder erhaltenen Briefe von ihm zu erhalten. (Man denke an jugendliche Brieffreunde.) Wenn der Verstorbene verschlüsselt kommuniziert hat, habe ich nicht zwingend das Recht gegen Briefpartner auf den Schlüssel. Beides wird hier aber von Facebook verlangt.
Absage an den „Gedenkzustand“
Im vorliegenden Fall wurde der Gedenkzustand wohl automatisch durch Facebook aktiviert – als minderjährige Nutzerin konnte die Verstorbene hier gar keine Wahl treffen, denn die Einstellungen zum Nachlasskontakt und zu den posthumen Wünschen ist erst volljährigen Nutzern zugänglich. Das LG Berlin hat dem Gedenkzustand aber nicht nur in diesem Fall, sondern generell eine Absage erteilt:
Zum anderen kommt der Gedenkzustand in der Form, wie er von der Beklagten ausgestaltet ist, nämlich ohne die Möglichkeit der Erben, diesen Zustand im Einzelfall rückgängig zu machen (diese Option ist nur vorgesehen für Fälle, in denen versehentlich der Gedenkzustand eines Profils einer noch lebenden Person aktiviert wurde), einem „Untergehen“ des zum Nachlass gehörenden Accounts gleich.
(Urteilstext nach iww.de)
Die Logik: Das LG Berlin geht davon aus, dass jeder Account in vollem Umfang zur Erbmasse gehört. Demzufolge darf es laut dem Landgericht kein Feature geben, das den Zugang zu diesem Account ausschließt oder einschränkt.
Der Gedenkzustand als Willenserklärung?
Nun kommen wir – wie so oft – an den Punkt: Wer nicht möchte, dass mit seinem digitalen Erbe etwas passiert, was er nicht will, sollte vorsorgen. Wer also bspw. sein Konto dahingehend konfiguriert, dass mit dem Tod der Gedenkzustand eintreten soll, gibt eine Willenserklärung ab: Er wünscht eine Konservierung, ein digitales Kondolenzbuch, und er wünscht ausdrücklich nicht, dass sich jemand „als er“ bei Facebook einloggen, handeln und Korrespondenzen einsehen kann.
Aus meiner Sicht ist der Gedenkzustand ein Stück Gestaltungsfreiheit für den eigenen Todesfall. Dass Facebook diesen Zustand automatisiert aktiviert, ohne dass dies der ausdrückliche Wille des Verstorbenen gewesen ist, kann man natürlich weiterhin kritisch sehen.
hallo Dennis,
ich finde es schwierig auf der Grundlage dieser sehr speziellen Fallkonstellation allgemeine Regeln abzuleiten. Jeder möchte gerne allgemeingültige Regeln, weil das den Umgang – hier mit dem Facebookaccount – einfacher machen würde.
Die Regel, die Facebook vertritt – kein Zugang zum Konto einer verstorbenen Person – wird aber auch der speziellen Fallkostellation nicht wirklich gerecht.
– die Tochter war minderjährig
– die Eltern besitzen die Zugangsdaten (das war lt. Eltern die Voraussetzung, der Nutzung von Facebook durch ihre Tochter zuzustimmen)
– von einer dritten Person, die wohl nicht zur Familie gehört, wurde der Gedenkzustand beantragt. Diese musste einen Todesnachweis vorlegen. Die Person bleibt im Dunkeln. Erst durch diesen Umstand haben die Eltern keinen Zugang mehr.
Klar, es wäre das Beste, wenn jeder zu Lebzeiten seine Willenserklärung abgibt, wie nach seinem Tod mit den Onlinekonten umgegangen werden soll. Wer die Regeln der Plattformen – die keinen Zugang gewähren – aushebeln will, hinterlässt seine Zugangsdaten. Wer nicht will, dass einer reinschaut, regelt das entsprechend auch vorher.
Fakt ist, dass die meisten sich keine Gedanken drum machen und die Erben/ Angehörigen entweder nach dem mutmaßlichen Willen handeln oder so, wie sie es selbst für richtig und wichtig halten. Und sich dann mit den sehr unterschiedlichen Regeln der Plattformen herumschlagen müssen.
Zu der Argumentation mit dem Briefgeheimnis gibt inzwischen rechtlich alle möglichen Auffassungen…
Hi Birgit,
danke für deine Perspektive. Ich verstehe die Argumente der Eltern (und finde den speziellen Fall ja wie erwähnt auch nicht Präzedenz-tauglich), ich wundere mich nur, wie in der Berichterstattung das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Und nachdem es kaum jemand anderes tut, mache ich mich auch für die posthume Vertraulichkeit von Kommunikationen stark 🙂 Wir können das ja kommende Woche in Bremen mal ausführlicher diskutieren!
Liebe Grüße
Dennis
Früher wurde alles auf Papier geschrieben, Kopien und Antworten gesammelt, vielleicht ins Bankschließfach gelegt. Beim Tod des Bankschließfachinhabers erhielten die Erben Zugang zu allen Dokumenten mit allen Vor- und Nachteilen von bisher unbekannten Dritten. Selbst wenn der Absender um Vernichtung nach dem Lesen bat, hatte er keine Garantie, dass die Dokumente vernichtet wurden. Wäre die Frage zu klären ob der ungeöffnete Brief im Bankschließfach oder im Geheimfach eines Schreibtisches dann beim Öffnen zum Verletzen des Briefgeheimnisses führte? Ich denke nicht, denn der Erbe – wenn er es antritt, verwaltet den Nachlass mit all seinen Vor- und Nachteilen.
Warum sollte das für digitale Erfassungen nicht gleichwertig gelten. Heute ersetzen E-Mail-Accounts, Clouds und andere Festplatten (secured) das Bankschließfach. Nicht für alles gilt das Telekommunikationsgesetz, was jetzt vorgeschoben wird, die Daten nicht freizugeben. Selbst die Hersteller von Sicherheitssoftware weigern sich, eine Festplatte wieder einsehbar zu machen, weil das Geschäftsmodel des Unternehmers gefährdet ist.
Suizid ob minderjährig oder volljährig. Laut Statistik soll jeder 2. Suizid kein Suizid sein, sondern es steckten andere Absichten dahinter. Die Polizei interessiert sich in den wenigsten Fällen dafür Aufklärung zu betreiben, denn sie erklärt den Hinterbliebenen, dass es für den Suizidanten ein Vergnügen war sich zu töten und Vergnügungen werden nicht untersucht. Man muss es also selber Nachforschungen betreiben.
Das was die Mutter der 15jährigen durchmacht, kann nur der verstehen, der in gleicher Situation ist. Ich konnte mir die digitalen Daten für meinen „Suizidanten“ erarbeiten und bisher zwei der „Suizid-Assistenten“ finden, zwei weitere sind in der Lokalisation … und es gab weitere „Vergnügungsopfer“ die sich ebenso durch Gift und fachgerechter Hängung zu Tode gebracht haben.
Gerade in solchen Fällen – und nicht nur dann – sollten die Erben Zugang zum digitalen Erbe haben. Was auffällt, dass ein Unbekannter das Account in diesem Facebook-Fall gesperrt hat. Hier könnte auch der Verdacht nahe liegen, dass dieser Unbekannte Tatsachen, Rückschlüsse – evtl. Beihilfe zum Suizid – verschleiern will, bedingt dadurch dass erst nach dem Tod bekannt wurde, dass die Suizidantin 15 Jahre alt war. Es muss auch nicht unbedingt ein Facebook-Nutzer gewesen sein. Es könnte auch eines unserer Tötungsforen sein.
Facebook, Email-Anbieter, Softwarehersteller sind Komplizen der Täter, gezwungener Weise, denn erst wenn diese aus gesetzlichen Gründen dazu gezwungen werden, erfolgt eine Mitarbeit … oder auch nicht. Da der Gesetzgeber der digitalen Welt hinterherhinkt, ist das Thema verschlafen worden, denn das Bundesverfassungsgericht hat bereits vor 11 Jahren in zwei Urteilen darauf hingewiesen.