Die Rechtsanwältin Dr. Stephanie Herzog war und ist maßgeblich daran beteiligt, dass der digitale Nachlass im Deutschen Anwaltverein (DAV) zum Thema wurde. Sie ist Mitglied des Gesetzgebungsausschusses Erbrecht und des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im DAV. Ein Interview über die Entwicklung der juristischen Lage und die Vereinsarbeit.
Frau Dr. Herzog, im September 2016 gab der Deutsche Anwaltverein eine Pressemitteilung zum digitalen Nachlass heraus. Mit dem Thema beschäftigt er sich aber schon deutlich länger. Wann genau fiel der Startschuss dazu?
Die Arbeitsgemeinschaft im DAV hat hier gewissermaßen Pionierarbeit geleistet. Schon auf dem 7. Deutschen Erbrechtstag in Berlin am 15.3.2012 haben wir in unserer Auftaktveranstaltung das Thema „Digitaler Nachlass“ thematisiert. Damals war Herr Prof. Dr. Bräutigam einer der wenigen, die sich mit dem Thema beschäftigten. Ihn konnten wir als Referenten gewinnen und er trug die seinerzeit herrschenden Meinung vor, die letztlich allein auf den Aufsätzen von Hoeren in der NJW (Anm.d.Red.: Neuen Juristischen Wochenschrift) 2005 und Martini in der JZ (Anm.d.Red.: JuristenZeitung) 2012 basierte.
Er hat uns bei seinem Vortrag zum Thema wachgerüttelt im Sinne von „Wir müssen hier was tun!“. Daher haben wir eine Gemeinsame Stellungnahme der Ausschüsse Erbrecht, Informationsrecht und Verfassungsrecht des Deutschen Anwaltvereins zum digitalen Nachlass erarbeitet, die im Juni 2013 veröffentlicht wurde (Stellungnahme Nr. 34/2013) und die wir am 7.6.2013 unter der Überschrift „Der digitale Tod – eine Aufgabe für den Gesetzgeber“ auf dem Deutschen Anwaltstag (DAT) in Düsseldorf vorgestellt haben.
Wie kann man sich die vereinsinterne Arbeit zum digitalen Nachlass genau vorstellen?
Wir haben quasi interdisziplinär gearbeitet – Erbrecht, Informationsrecht und Verfassungsrecht – und so herausgearbeitet, dass die bis dato herrschenden Meinung auf einem Irrweg war. Hierzu gab es unzählige spannende Telefonkonferenzen und am Schluss unsere schriftliche Stellungnahme (s.o.). Auch die Podiumsdiskussion auf dem DAT fand unter Mitwirkung aller Ausschüsse und mit Vertretern aus Presse, Politik und der Provider statt.
Jedenfalls scheint das Thema jetzt nicht mehr nur vor sich „hinzuschlummern“, wie sie in einem Aufsatz im Dezember 2013 konstatiert haben, oder?
Nein. Man kann sagen, seit 2013 boomt das Thema regelrecht, und zwar sowohl in der juristischen Literatur, bei juristischen Fachseminaren aber auch in der Tagespresse und im Internet. Zu letzterem hat sicher auch das sog. „Google Testament“ (eigentlich: „Kontoinaktivitätsmanager“) beigetragen. Auch das Bundesministerium für Verbraucherschutz widmet sich inzwischen dem Thema und in NRW gibt es Vorbereitungen für eine mögliche Gesetzesinitiative zum „digitalen Neustart“, die auch den digitalen Nachlass mitumfasst. Leider tummeln sich am Markt inzwischen auch viele unseriöse Anbieter.
Erben haben die Pflicht, die Nachlassverbindlichkeiten nicht nur zu erfüllen, sondern auch aufzudecken. Gilt das auch für den digitalen Nachlass?
Selbstverständlich; denn für den digitalen Nachlass gelten die Regeln des Erbrechts – andere haben wir nicht, also müssen wir sie anwenden!
Kann man ein analoges Erbe annehmen und gleichzeitig das dazugehörende digitale Erbe ausschlagen?
Nein. Dies hat einen einfachen Grund und hier zitiere ich gerne Wüsthof, der sich in unserer Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis (ErbR) 2016 auf Seite 223 zur ersten Gerichtsentscheidung (LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15) zum Thema geäußert hat: Einen „beschränkten digitalen Nachlass“ gibt es nicht. Auch Lange/Holtwiesche stellen in der Zeitschrift ZErb im Jahre 2016 auf Seite 125 klar: Es ist „nicht zulässig, zwischen dem „digitalen“ und dem „sonstigen“ Nachlass rechtlich zu unterscheiden. Erbrechtlich besteht stets nur ein einziger Nachlass, der sich aus verschiedenen Aktiva und Passiva zusammensetzt“. Es gilt also: Alles ausschlagen oder alles annehmen.
Kann ich mit einer Vorsorgevollmacht oder einem Testament schon zu Lebzeiten Einfluss auf die Rechtslage nach meinem Tod nehmen, um meinen Hinterbliebenen das Prozedere zu erleichtern?
Auf jeden Fall. Von der Rechtsprechung abgesichert ist hier noch nichts. Aber es ist einhellige Meinung in der juristischen Literatur, dass das, was der Erblasser verfügt hat, gilt. Die Aufnahme des digitalen Nachlasses in Vorsorgevollmacht und Testament ist derzeit also die einzige Möglichkeit, ein wenig Rechtssicherheit zu bekommen.
Mache ich mich strafbar, wenn ich Logindaten für meine Angehörigen hinterlege, obwohl in den AGB diverser Provider steht, dass der Zugang Dritten nicht gewährt werden darf?
Nun, es stellt sich zunächst die Frage, ob solche AGB überhaupt wirksam sind. Das LG Berlin (a.a.O.) hat die AGB zum Teil als gegen das AGB-Recht verstoßend angesehen. Die Entscheidung ist aber keineswegs rechtskräftig, sondern die Sache ist beim KG (Anm.d.Red.: Kammergericht) in der Berufungsinstanz anhängig. Eine Grundlage für eine Strafbarkeit sehe ich aber hier nicht. Diese stellt sich eher für die Provider, wenn diese Daten an die Erben oder nächste Angehörige herausgeben. Ersteres ist in die Diskussion gekommen, aber nur anzunehmen, wenn darin ein Verstoß gegen das TKG (Anm.d.Red.: Telekommunikationsgesetz) liegen würde, was nicht nur ich verneine. Letzteres ist meines Erachtens viel problematischer, auch wenn man oft liest, dies sei kulant. Das ist es nicht, sondern es nimmt den Erben ihre Rechte.
Und zum Abschluss: Wo sehen Sie die größte Herausforderung für die Zukunft?
Ganz klar darin, dass es sich überwiegend um internationale Sachverhalte handelt. Die meisten Provider sitzen im Ausland und haben Gerichtsstands- und / oder Rechtswahlklauseln. In diesen Fällen ist möglicherweise in vielen Fällen gar kein deutsches Gericht zuständig und die deutschen Regeln greifen nicht. Andere Rechtsordnungen könnten die Dinge wiederum ganz anders sehen als hier dargestellt.
2 Gedanken zu „„Was der Erblasser verfügt hat, gilt“ – Anwältin Dr. Stephanie Herzog über digitalen Nachlass“