Künstliche Intelligenz und Automatisierung sollen zur virtuellen Unsterblichkeit verhelfen. Obskurer Trend, dumme Idee oder sinnvolle “Vorsorgeleistung”? Auf verschiedenen, bislang ausschließlich nicht-deutschen Seiten bieten Unternehmen “virtuelle Unsterblichkeit” an. Einige Dienste sind bereits wieder offline gegangen (wie virtualeternity.com), andere spuken in Social-Media-News und Tech-Portalen weiterhin herum, und es entstehen auch regelmäßig neue Portale.
Was die Dienste anbieten
Inhalt
Gemeinsam ist den Diensten, dass sie im Gegensatz zu Gedenkseiten keinen statischen Gedenk-Ort anbieten, sondern eine Art “virtuelle Repräsentation” des Verstorbenen sind. Dazu werden Ansätze künstlicher Intelligenz mit Erkenntnissen über die Online-Aktivitäten des Verstorbenen kombiniert.
Eter9
Bei Eter9 handelt es sich um ein soziales Netzwerk, in dem Nutzer ganz normal agieren können, wie sie das von Facebook & Co. kennen. Bilder, Links und Texte lassen sich teilen, es gibt Kommentare und Likes. Während der User sich auf der Seite aufhält, wird sein Verhalten analysiert und in einen nicht näher bekannten Algorithmus gespeist.
Dieser erstellt eine Art virtuelles Abbild des Users, das autonom agieren kann (wenn man es lässt) und das Verhalten des “echten” Users nachahmt. Somit können auch ganze Konversationen nur zwischen Bots, also den virtuellen Alter Egos der Nutzer, entstehen.

Virtuelle Unsterblichkeit verspricht das Network, indem dieser Avatar nach dem Tod des menschlichen Parts weiter postet, kommentiert und “liked”.
Eterni.me
Eterni.me verspricht ebenfalls eine aktive Unsterblichkeit als virtueller Verhaltensklon. Hier geht es zentral aber auch darum, Wissen und Erfahrungen eines Menschen zu bewahren: “Eternime collects your thoughts, stories and memories, curates them and creates an intelligent avatar that looks like you. This avatar will live forever and allow other people in the future to access your memories.”
Die Technologie, um das umzusetzen, existiert noch nicht; ähnlich wie das Internet-Archiv Websites archiviert, will Eternime bis zu seinem Start in naher oder ferner Zukunft aber möglichst viele Daten sammeln, um sie dann zu verwerten. Dazu wird das aus einem MIT-Projekt hervorgegangene Angebot auf Mails, Chats, Social-Media-Profile u.ä. zurückgreifen. Die Warteliste auf Beta-Zugänge umfasst bislang über 30.000 Personen.

Fazit und Gefahren
Dem heutigen User mag die Vorstellung sehr gruselig erscheinen, nach dem Tod eines nahen Angehörigen weiterhin mit “ihm” oder “ihr” chatten zu können, aber es ist nicht auszuschließen, dass Menschen darin Trost finden. Vermutlich würden Trauerpsychologen heute aber eher Gefahren für den Trauerprozess sehen.
Vergleicht man die versprochenen und tatsächlichen Fortschritte der künstlichen Intelligenz bislang, ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass ein “lebensechter” Avatar eher in einigen Jahrzehnten als in einigen Jahren realisierbar ist. Heute erinnert ein autonomes virtuelles Abbild eher an (dystopische) Science Fiction denn an reale Funktionen von künstlicher Intelligenz. Es handelt sich – aktuell jedenfalls – nicht um eine sinnvolle Vorsorgeleistung.
Unabhängig von der Realisierbarkeit: Gefährlich an diesen Diensten ist, dass man sich mit seinen Daten in die Abhängigkeit von einem Unternehmen begibt. Das bringt akute Probleme mit sich, etwa die Frage, was mit diesen höchst persönlichen Daten geschieht, wenn ein derartiger Service verkauft wird, sein Geschäftsmodell ändert oder Pleite geht. Es birgt aber auch eine Gefahr, die weiteren Stoff für die Science Fiction liefert: Virtuelle Abbilder könnten in Geiselhaft genommen werden, Menschen könnten für ihre virtuellen Selbste “Lösegelder” in Form von Mitgliedschaften erwerben müssen etc.
Gefahren und Möglichkeiten dieser Dienste werden also erst in vielen Jahren ersichtlich werden.
Updates und Neuigkeiten (04.11.2016)
Leider veralten Blogposts schneller, als einem lieb sein kann. Daher reichen wir hier einige Links und spannende neue Einsichten nach, insbesondere zu Chatbots, die Verstorbene simulieren (wofür ich den Begriff „GoneBot“ einführen möchte):
- digital publishing report #2, Oktober 2016, S. 44: Eva Ihnenfeldt von KMU Digital über Chatbots als Repräsentanten Verstorbener
- Gonebot in der Populärkultur #1: Tatort „Echolot“. Eine (Meta-)Kritik gibt es bei Fensal.org. Zitat: Das Highlight in diesem Tatort ist jedoch die Figur der Lili, der kleinen Tochter Vanessas, und die Selbstverständlichkeit, mit der Lili nicht nur mit der Technik, sondern auch mit dem Tod umgeht. Während die trauernden Erwachsenen auf die digitale Repräsentation Vanessas mit Verzweiflung oder Aggression reagieren, ist für Lili der Dialog mit dem Avatar tröstlich, auch wenn sie genau weiß, dass ihre Mutter nicht mehr lebt und Nessa künstlich ist.
- The Verge, Oktober 2016: SPEAK, MEMORY When her best friend died, she rebuilt him using artificial intelligence von Casey Newton (auch im Monatsrücklick Oktober enthalten)
- Steadynews, 14.10.16: Können wir Verstorbene für uns zurückgewinnen – als Chatbot?
- Hackread, vom 14.9.16: This man is creating a chatbot for his mom so they can talk after she dies
- Heuse, September 2016: Virtuelle Unsterblichkeit – die Vision der Posthumanisten
- Spiegel, 4.8.16: Wie digitale Klone uns unsterblich machen sollen (auch im Monatsrückblick August enthalten)
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Es ist eine interessante Frage, ob solche Dienste überleben werden. virtualeternity hat jedenfalls den 5. Geburtstag nicht erlebt. Ich fand den Dienst auch etwas seltsam s.
Aktuell gibt es noch einen weiteren Dienst, den vielleicht dasselbe Schicksal treffen wird http://www.lifenaut.com
Diese Dienste hantieren mit Begriffen wie „Ewigkeit“ und „Unsterblichkeit“, die eigentlich nur in einem theologischen oder philosophischen Kontext einen Sinn machen. Denn die Endlichkeit jedes Anbieters ist vorprogrammiert.