Auf der digina 2017, der Konferenz zum digitalen Nachlass, war unter anderem ein Team des Mitteldeutschen Rundfunks zu Gast. Die Szenen und Interviews, die dort entstanden sind, sind Teil eines 30-minütigen Films geworden, der der Frage nachgeht, wie sich in digitalen Zeiten unser Umgang mit dem Tod verändert und wie wir mit den digitalen Hinterlassenschaften verstorbener Menschen umgehen wollen. Jetzt im Januar ist der Film von Ben Arnold in der Reihe Exakt – Die Story unter dem Titel „Unsterblich im Internet? Vom Umgang mit dem Tod in einer digitalen Welt“ erschienen (© MDR 2018). Wer ihn noch nicht gesehen hat, dem sei er empfohlen. Wer keine Zeit hat, sich den Film komplett anzusehen, findet hier ein Zusammenfassung.
Mit seinen 30 Minuten ist er einer der ausführlichsten Beiträge der Öffentlich-Rechtlichen zum Thema digitaler Nachlass und Online-Trauerkultur. Dass sich der Film diese Zeit nimmt, ist ein Gewinn: Neben Experteninterviews mit Birgit Aurelia Janetzky (Semno Consulting), Katja Henschler von der Sächsischen Verbraucherzentrale und Armin Wagner (Fimberger Digitales Erbe) erzählt er fünf sehr unterschiedliche Geschichten von betroffenen Menschen. Diese Zusammenstellung zeigt besser als viele Erklärungen, wie vielschichtig das Thema ist und wie unterschiedlich die Fragestellungen, Probleme und Bedürfnisse sein können, die damit zusammenhängen:
Geschichte 1: Öffentliches Schreiben über das Sterben und gegen das Vergessen
Inhalt
Die Mutter Yvonne Bauer, 40, kämpft seit vier Jahren gegen den Krebs. Eine vollständige Heilung scheint ausgeschlossen. Bei Facebook regelmäßig über ihre Krankheit und das Sterben zu bloggen, bedeutet ihr viel. Sie hat zahlreiche Leser und es fällt ihr im digitalen Raum leichter als im analogen, zu berichten, wie es ihr geht. Ihre Texte sind für sie ein Vermächtnis, das bleibt, wenn sie nicht mehr da sein wird. Ihrem Mann Andreas fällt es schwer, mit dieser Art von Öffentlichkeit umzugehen. Er hat aufgehört, die Texte zu lesen und vertraut darauf, von Yvonne im direkten Kontakt zu erfahren, wie es ihr geht.
Bei ihrem Schreiben hat Yvonne auch ihren kleinen Sohn im Kopf, der ihre Texte später einmal lesen und vielleicht verstehen können wird, wie es ihr in dieser schweren Zeit ging. Sie ist sich bewusst, dass sie Vorsorge treffen muss, damit ihre Texte auch in Zukunft im Netz zugänglich sind. Ihr Problem dabei: Ihre Texte liegen auf den Facebook-Servern. Ob ihr Vermächtnis in Zukunft lesbar sein wird, hängt von einem Konzern ab.
Geschichte 2: Digitale Spuren Verstorbener belasten die Lebenden
Heike Müller (geänderter Name im Film) erlebt den digitalen Nachlass ihres Exmannes als starke Belastung für ihren 15-jähriger Sohn. Vater und Sohn hatten auch nach der Trennung der Eltern ein gutes Verhältnis, kommunizierten viel digital, auch über Facebook. Dass der Facebook-Account seines verstorbenen Vaters „weiterlebt“ und von dessen Lebensgefährtin weiterbespielt wird, belastet ihn massiv. Seine Mutter sieht noch ein weiteres Problem: Die Partnerin ihres Exmannes hat auch Shopping-Accounts des Verstorbenen weitergenutzt. Falls diese Rechnungen nicht bezahlt worden wären, ginge das zu Lasten ihres Sohnes, dem Erbe seines Vaters.
Heike Müller versucht aus diesen Gründen seit eineinhalb Jahren, die digitale Identität des Verstorbenen löschen zu lassen. Mit Hilfe dessen Tabletts recherchierte sie nach Accounts. Sie stieß dabei nicht nur auf private Details, die sie nicht kennen wollte, sondern blieb ohne die entsprechenden Passwörter weitgehend erfolglos. Jetzt kapituliert sie.
Geschichte 3: Verloren gegangene Daten als großer Verlust
Catharina Wilhelms Vater, der Komponist, Filmmusiker und Dirigent Rolf Alexander Wilhelm, verstarb im Alter von 85 Jahren. Sie erfüllte seinen letzten Willen und übergab seinen musikalischen Nachlass dem Deutsches Komponistenarchiv in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden. Seine Korrespondenz führte Rolf Alexander Wilhelm seit Jahren weitgehend digital, 1998 hat er sich mit 72 Jahren seinen Mail-Account eröffnet. Catharina Willheim besitzt die Passwörter zu den Online-Accounts ihres Vaters. Ihr wurde aber „die fehlende Sicherheitskopie […] zum Verhängnis“: Als sie sich nach längerer Abwesenheit in das Postfach (Anm. d. Red.: WEB.DE) einloggt, sind alle Mails verschwunden. Die Daten lagen ausschließlich auf den Servern des E-Mail-Providers. Ein Schock für sie (dem sie im September 2016 auch via Twitter Ausdruck verlieh).Trotz ihrer Bitte wird der Account nicht wieder hergestellt – alles sei im Einklang mit den Geschäftsbedingungen passiert. „Für mich war es so, als wäre mein Vater nochmal gestorben“, sagt Katharina Wilhelm im Interview.
Geschichte 4: Ein Blog als Erinnerungsort
Stefanie Lenger-Schmal aus Leipzig ist es ein Herzensanliegen, über das Netz Erinnerungen zu bewahren. Innerhalb kurzer Zeit verlor sie sowohl ihre Tochter als auch ihren Mann. Als ihre Tochter Greta im Alter von drei Jahren an Krebs erkrankt, begann ihr Mann Stefan unter Greta hält durch vom Familienalltag zu erzählen. Das Blog war gedacht als Informationsforum für Bekannte und Familie. Fünf Jahre nach der Diagnose stirbt Greta. Kurz zuvor erkrankt auch Stefan an Krebs. Jetzt schreibt statt Stefan Stefanie weiter. „Das Internet wird für sie der Ort, in dem sie das unfassbare verarbeiten kann.“
Geschichte 5: Die Rechte der Hinterbliebenen
Der exakt-Beitrag greift auch die Geschichte um das medial bekannt gewordene „Facebook-Urteil“ auf, also das Schicksal des 15-jährigen Mädchens, das 2012 bei einem U-Bahn-Unfall in Berlin verstorben ist (wir berichteten zum Urteil). Bis heute sind die Todesumstände nicht abschließend geklärt, vieles deutet auf einen Suizid hin. Die Eltern wünschen sich seitdem Zugang zum Facebookprofil ihrer verstorbenen Tochter, haben das Recht dazu aber bisher nicht erhalten. Im Interview ist Rechtsanwalt Christian Pfaff zu sehen, der die Eltern vor Gericht vertritt.
Fazit
Sehenswerter Beitrag für alle, die sich dem Thema zum ersten Mal nähern. Sehenswert aber auch für „alte Hasen“ aus der Szene rund um den digitalen Nachlass, weil es einige bekannte Gesichter zu sehen gibt.
Die digina 2017 im Beitrag
Wer einen Blick auf die digina werfen will: Ab 9 Minuten 40 sind ein paar Einstellungen von der Konferenz in den Räumen unseres Raumsponsors Microsoft zu sehen. Das Interview mit Birgit Aurelia Janetzky entstand übrigens auch dort im Rahmen der Konferenz.
Schade finden wir, dass im Beitrag der Eindruck entsteht, als wäre unsere Konferenz von großen Online-Playern initiiert worden. Nach der Kameraeinstellung auf das Microsoft-Gebäude folgt der Text „Diese Fragen beschäftigen zunehmend auch die großen Internetanbieter. In der deutschen Zentrale von Microsoft in München findet eine Konferenz rund um den digitalen Nachlass statt, die digina. Google stellt hier ein neues Tool zur digitalen Nachlassverwaltung vor und junge Startups präsentieren ihre Lösungen zur Vorsorge für das digitale Erbe.“ Dass es inhaltlich in erster Linie um gesellschaftliche, (verbraucher)rechtliche, soziale, politische und auch technische Fragen ging, wird nicht erwähnt. Und tatsächlich war Microsoft weder inhaltlich involviert noch personell vertreten, sondern hat lediglich die Räume als Sponsor zur Verfügung gestellt, während sich das fünfköpfige Veranstaltungsteam aus privat motivierten Gründen zusammengefunden hat.
Rahmendaten zum Beitrag
Titel: „Unsterblich im Internet? Vom Umgang mit dem Tod in einer digitalen Welt“
Sendetermin: Mi 10.01., 20:45Uhr
Dauer: 30:01 min
Mediathek: Der Beitrag ist hier in der MDR-Mediathek zu sehen:
Zusatzinfos: Zur Sendung gibt es übrigens auch Textbeiträge unter MDR Mediathek und MDR exakt.
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