„Vorsorgeprogramme tendieren dazu, nicht oft benutzt zu werden“ – Albert Brückmann von Meminto im Interview

Albert Brückmann ist Marketer, Agenturinhaber und Gründer des Vorsorgedienstes Meminto (gerade in einer Beta-Testphase – Website, Blog). Wir haben ihn über das Unternehmen, den Service im Bereich digitaler Nachlass sowie die Mechanismen zur Todes-Verifikation befragt.

Was bietet Meminto als digitaler Nachlass- bzw. Vorsorge-Service?

Inhalt

Meminto ist nicht nur ein Nachlassverwalter, sondern kann gleichzeitig feststellen, ob der Benutzer noch am Leben ist. Dies wird durch einen komplexen Prüfmechanismus kontrolliert, momentan bestehend aus sogenannten Lifechecks und Trusties. Lifechecks sind E-Mails, die in bestimmten Frequenzen beim Benutzer eingehen und bestätigt werden müssen. Diese Frequenz kann der Benutzer selbst festlegen; dabei hat er die Wahl zwischen täglichen bis halbjährlichen Lifechecks, je nach Lebensituation. Als Trusties werden bis zu drei Vertrauenspersonen definiert, die nur im Fall einer möglichen Unsicherheit nach dem Lebenszustand des Benutzers gefragt werden. Sollte sich der Benutzer beispielsweise nach einem Lifecheck und erneuter Erinnerung nicht mehr zurück melden, fragt Meminto sehr dezent bei den Vertrauenspersonen an. Erst, wenn alle Trusties aussagen, dass der Benutzer verstorben ist, wird der hinterlegte Nachlass freigegeben. Dazwischen gibt es einige Konfliktmanagement-Prozesse, die eben dies sicherstellen sollen: Keine Informationen verlassen das System vollautomatisch, sondern nur nach menschlicher Rückmeldung.

Dies zeigt auch, worauf ich in der ersten Phase der Entwicklung Wert gelegt habe: Der Lebensprüf-Mechanismus. Dieser kann jetzt frei und kostenlos in der Beta-Phase getestet werden.

Meminto soll gezielt auch etwas anders als bisherige Nachlass-Services sein. Es geht nicht nur darum, die wichtigen Dinge des Lebens in einer ernsten Weise geregelt zu haben. Sondern auch die schönen Erinnerungen, Geschichten und Emotionen. Deswegen sehe ich auch junge Menschen als meine Zielgruppe, die sich mit dem Tod so gut wie garnicht auseinandersetzt. Und diese Zielgruppe muss anders erreicht werden als die bisherigen Anbieter das tun: Auf ihren Smartphones. Das ist dann auch mein nächster Schritt.

Was erwartet Anwender bereits jetzt in der Beta-Version – und was steht auf dem Plan für künftige Versionen?

Foto Albert Brückmann von Meminto
Albert Brückmann von Meminto

Wie oben beschrieben liegt der Fokus auf dem Mechanismus der Lebensprüfung. Benutzer sollen sich zuerst damit vertraut machen, bevor sie beginnen, Ihre Hinterlassenschaft einzupflegen. Weil ich als Einzelperson hinter dem Projekt stehe, könnte Meminto vertrauenserweckender sein, als wenn irgendeine Organisation dahinter steht, deren Ziele man nicht kennt. Natürlich ist es damit aber auch gleichzeitig abhängiger von mir selbst.

In den kommenden sechs bis zwölf Monaten werde ich die Sicherheit des Systems verbessern und weitere Funktionen hinzufügen. Zum Beispiel soll es möglich werden, selbst Jahre nach dem Tod noch automatisierte Nachrichten verschicken zu können, z.B. zum 18. Geburtstag der Tochter, die man vielleicht als kleines Kind hinterlassen hat. Natürlich muten solche Funktionen wie Spielereien an – aber ich bin mir sicher, dass viele Menschen einen Verwendungszweck dafür hätten. Unlängst  habe ich von dem Vater gelesen, der genau das für seinen Sohn getan hat. Auch der Film „P.S. Ich liebe dich“ basiert auf einem solchen (hier papierbasierten) System!

Auch sollen die Prüfmechanismen weiter verfeinert und evtl. sogar auf Third-Party-Services ausgelagert werden können. Einen Herz-Frequenz-Messer in der Smartwatch könnte man ja schließlich auch zu etwas anderem gebrauchen als nur für sportliche Aktivitäten.

Woher kam die Idee zu Meminto?

Der Gedanke hinter Meminto entstand während meiner regelmäßigen Fahrten zur Arbeit. Bis 2011 war ich noch fest angestellt bei einem großen Lebensmitteldiscounter und kümmerte mich dort in einem tollen Team um den Internet-Bereich. Damals war ich etwa ein Jahr lang verheiratet. Meine Frau und ich hatten unser vorher getrenntes Leben verpackt in mehreren, separaten Ordnern mit in die Ehe gebracht. Niemand wusste über die Inhalte dieser Ordner des anderen Bescheid. Welche Verträgen steckten da drin? Welche Verpflichtungen sind wir eingegangen? Über die Jahre meldeten wir uns bei immer mehr Portalen, Shops und Online-Diensten an. Obwohl meine Frau natürlich Zugriff auf die meisten meiner Accounts hat, gibt es doch manches, das ich als eher unwichtig erachte, um sie damit zusätzlich zu belasten.

Was aber, wenn ich plötzlich sterben würde? Es soll ja hin und wieder passieren, dass Menschen umklappen und von der einen auf die andere Minute nicht mehr da sind. Könnte sie meine Mobilfunkverträge problemlos kündigen? Würde Sie Zugriff auf meine Blogs und Websites haben? Kennt sie meinen Kundenstamm, den ich mir mit meiner Web-Agentur seit nun bald 15 Jahren (mit 17 eröffnete ich einen Computerservice) aufgebaut habe? Immer mehr Fragen kamen zusammen und ich kam zum Entschluss: Menschen, die früh sterben, hinterlassen meistens einen riesigen Haufen von Fragen und Unklarheiten.

Diese Unklarheiten treten häufig zu Tage, wenn man direkt mit Todesfällen konfrontiert wird. Gab es da ebenfalls einen Auslöser?

Ja. Zwischenzeitlich starben mehrere Menschen in meinem Umfeld. Zunächst ein über 80-jähriger, guter Freund meines Vaters, der auch mir stets ein Vorbild war. Er betrieb mit seiner Frau jahrzehntelang eine große Gärtnerei und war noch bis ins hohe Alter sehr aktiv. Nach seinem Tod blieb mir ein Satz seiner Frau in Erinnerung:“Ich bin total erstaunt. Mein Mann hat auch jetzt noch an alles gedacht. Ich wusste nicht davon, aber ich muss mich um nichts kümmern, es ist alles geregelt“.

Kurz darauf starb ein weiterer Freund mit 19 Jahren bei einem Motorradunfall, in den Armen seines Bruders, der hinter ihm gefahren und den Unfall direkt mit angesehen hatte. Plötzlich aus dem Leben gerissen. Er hatte sich leider um gar nichts gekümmert, und seine Familie hatte wochenlange Arbeit mit dem Papierkram.

Beide Vorfälle spornten mich an, mit Meminto zu beginnen – und ich tat es dann auch.

Setzen Sie das Projekt alleine um oder haben Sie Partner?

Ich bin die treibende Kraft hinter Meminto. Bis auf die Programmierung setze ich alles selbst um, sogar das Erklärvideo habe ich selbst gemacht. Ich leite eine Sprechagentur und konnte es daher von einer guten Freundin vertonen lassen. Ich bin auch froh, einen wirklich cleveren Programmierer an meiner Seite zu haben, der Meminto auch als mehr als eine Spielerei sieht und mich tatkräftig unterstützt.

Das Problem, das ich momentan sehe, ist, dass mir selbst leider die Zeit (und womöglich auch das Kleingeld fehlt), um Meminto mit Vollgas voranzutreiben. Ich betreibe auch eine Agentur für Online-Medien und lebe von Online-Marketing und der Umsetzung von Web-Anwendungen für Kunden. Aber wer weiß – vielleicht findet sich irgendwann mal ein Investor, der das Potential von Meminto erkennt. Ein Finanzpartner, wie ihn beispielsweise anera (Anm.d.Red.: ehemals exmedio) mit der Allianz hat, wäre schon sehr hilfreich, um sich auf das Thema „digitaler Nachlass“ konzentrieren zu können.

SSL, Zwei-Faktor-Authentifizierung via Google Authenticator und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sind schon implementiert oder geplant. Da stellt sich eine Frage: Warum nicht gleich Open Source und dezentral, um hohe Ausfallsicherheit auch in 40 oder 60 Jahren zu gewährleisten? Das größte Manko an allen Lösungen scheint, dass die dahinter stehenden Unternehmen überleben müssen …

Das ist wirklich das größte Manko. Ich habe nun mehrere Jahre und auch viel Geld in die Entwicklung von Meminto gesteckt – und es ist noch längst nicht fertig. Natürlich möchte ich gerne irgendwann die Früchte der Arbeit genießen dürfen. Dennoch – und das ist vielleicht dem einen oder anderen aufgefallen – habe ich auch an Open Source gedacht: Meminto wurde von mir als Plugin für WordPress entwickelt. Damit ist es theoretisch möglich, es sich in seine eigene Website zu integrieren. Man ist dann nicht mehr abhängig von einem Anbieter. Ob ich eine solche Möglichkeit des Vertriebs von Meminto umsetzen werden, steht momentan aber noch in den Sternen.

Welche Probleme sehen Sie im Bereich digitaler Nachlass momentan als am dringendsten an?

Aus meiner Sicht sind dies drei Dinge: Vertrauen einerseits, Sorglosigkeit andererseits und das Problem der Benutzung eines digitalen Nachlassservices.

Jeder digitale Nachlassservice ist ein Mekka für Hacker. Angriffe, wie wir sie auf twitter und Ashley Madison gesehen haben, werden uninteressant werden, wenn User wirklich beginnen, ihre wichtigsten Daten zu hinterlegen. Deswegen muss ein digitaler Nachlassservice das Höchstmaß an Sicherheit bieten, das es überhaupt gibt. Und das muss so transparent sein, dass es das Vertrauen der User gewinnt. Aus diesem Grund kann ich mir auch nicht vorstellen, soziale Netzwerke an ein solches System anzubinden. Beispielsweise, um sich mit seinem facebook-Account anzumelden. Das ist absoluter Nonsens aus meiner Sicht.

Der zweite Punkt ist die Sorglosigkeit der Menschen. Wer setzt sich schon gerne in jungen Jahren mit seinem eigenen Tod auseinander? Die wenigsten tun das! Viel lieber wird wertvolle Zeit in Snapchat, Instagram & Co gesteckt – weil es kurzweilig ist und Spaß macht. Deswegen stelle ich es mir schwierig vor, einen Markt dafür aufzubauen. Meminto kann allerdings mehr sein als nur ein ernsthafter Service für digitalen Nachlass – und daran will ich arbeiten.

Das wäre dann auch schon der dritte Punkt: Digitale Nachlassprogramme tendieren dazu, nicht oft benutzt zu werden. Man stellt es ein, hinterlegt Daten, passt seine Vertrauenspersonen ein und verabschiedet sich aus dem System – und meldet sich nur noch selten wieder an. Das ist allerdings ziemlich langweilig und der Nutzertreue nicht dienlich.

Wie wäre es zum Beispiel, wenn Ihnen jede Woche eine Frage über ihr Leben gestellt wird, die sie einfach und kurz beantworten? In einem Jahr haben Sie eine kleine Autobiographie erstellt, in drei Jahren ist es ein Buch und in zwanzig Jahren treuer Benutzung werden Sie Ihrer Nachwelt etwas ganz besonderes hinterlassen: Eine Schatzkiste voller Erinnerungen. Und relativ einfach könnte man daraus wirklich ein Buch erstellen lassen. Der digitale Nachlassservice muss also mehr bieten, als wir es bisher kennen. Und daran wollen wir arbeiten!

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