Der Titel „Mein Recht im Netz. Der Ratgeber für die digitale Selbstbestimmung“ lässt erst einmal nicht vermuten, dass sich jemand ausführlich mit digitalem Nachlass beschäftigt hat. Aber genau das ist der Fall. Wir haben uns den Ratgeber von Peter Apel deswegen genauer angesehen und dem Autor einige Fragen gestellt.
Digitale Identität: Ein Fall für Datenschutz und digitalen Nachlass
Inhalt
Von außen wirkt der Ratgeber von Stiftung Warentest erst einmal wie ein Titel zum Thema Datenschutz. In der vorderen Klappe heißt es:
„Die Digitalisierung macht vor niemandem halt, auch vor unserem persönlichen Profil nicht. Mit allen Daten, die zusammen unsere digitale Persönlichkeit bilden, müssen wir sehr sorgfältig umgehen. Denn „das Netz vergisst nichts“ – wie ein aktuelles Sprichwort sagt – und die Methoden der Datensammler werden immer perfekter.“
Lediglich der letzte Stichpunkt im Klappentext „Vorsorge für den Notfall: Ihr Testament für alles Digitale“ lässt vermuten, dass es um mehr geht.
Tatsächlich verfolgt der Autor einen wesentlich weiteren Ansatz. Ganz im Sinne von „das Netz vergisst nichts“ bearbeitet er auch intensiv das Feld, dass die eigenen Daten über den Tod hinaus bestehen und zeigt, wie man schon zu Lebzeiten vorsorgen kann.
Von der Cloud, Datensafes und Verschlüsselung: Einsteiger willkommen
Der Ratgeber richtet sich wörtlich an Leute, die „schon erste Erfahrungen mit E-Mail und Onlineshopping oder Onlinebanking mitbringen“, aber noch mehr zum Thema Sicherheit im Netz wissen möchten. (S. 13). Entsprechend werden im ersten Teil gut verständlich Basisinfos aufbereitet. Was ist die Cloud? Ist Sicherheit dort möglich? Was ist die digitale Identität? Wie geht man sicher mit E-Mails um? Auch an Infos zu Verschlüsselung, Hilfsmitteln wie Passwortsafes und Abläufen beim Onlineshopping fehlt es nicht. Nach einem Abriss über konkrete Gefahren im Netz für die eigenen Daten gibt der Autor noch einen Überblick zur Rechtslage (ab S. 51).
Es geht ans Eingemachte – Identitäten dokumentieren
Der zweite Teil des Buches dreht sich dann ganz praktisch um die Frage, wie man Wichtiges dokumentiert, wenn man seine digitale Identität organisieren will. Und das auch immer schon mit Blick auf Bevollmächtigte, die sich um diese Identität nach dem Tod ihres eigentlichen Besitzers kümmern sollen. Apel bespricht verschiedenen Hilfsmittel und arbeitet heraus, was überhaupt dokumentiert werden sollte und wie das konkret anzupacken ist. Dabei zeichnet er ein umfassendes Bild der digitalen Identität und was sie im Netz so alles „tut“: Von Kommunizieren über einkaufen und arbeiten bis hin zu spielen und Werte schaffen.
Kontobevollmächtigte abholen
Dazu wird exemplarisch durchgespielt, wie eine Dokumentation der digitalen Identität mit Blick auf einen Alleinerben oder auf eine Erbengruppe aussehen kann.
Apel verspricht hier keine schnelle Lösung, sondern weißt ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei einer ordentlichen Dokumentation um eine Aufgabe handelt, die nicht an einem Wochenende erledigt ist. Besonders gut gefällt mir, dass er viel Wert auf eine technische Anleitung zusätzlich zur Dokumentation der digitalen Identität legt, denn
„Datentechnik ist nicht jedermanns Ding. […] Anders gesagt: Sie müssen die künftigen Kontobevollmächtigen abholen.“ (S. 191)
Ein Beispiel: Nicht jeder kennt und/oder nutzt einen Passwortsafe. Soll man als Erbe nun einen digitalen Nachlass verwalten, der auch einen Passwortsafe mit einschließt, schadet eine kurze Anleitung nicht, worum es sich hier überhaupt handelt und was der Verstorbene damit organisiert hat.
Fazit: Die digitale Identität als Ganzes behandeln
Auch wenn es schwierig ist, die Leseransprache konsequent durchzuhalten, wenn die Daten vor und nach dem Tod gemeinsam behandelt werden (die Zielgruppe wechselt z.T. von Vorsorgendem zum Erben, Bsp. S. 162), ist es ein sehr guter Ansatz, die digitale Identität als Ganzes zu betrachten.
Ein empfehlenswertes Einsteigerbuch für Internetnutzer, die sich bisher noch keine Gedanken über ihre digitale Identität, Datenschutz und ihren digitalen Nachlass gemacht haben. Ohne erhobenen Zeigefinger bringt der Ratgeber nahe, warum es sich lohnt, sich um seine eigenen Daten zu kümmern, sowohl für das Hier und Jetzt als auch im Hinblick auf die Erben. Es mangelt dabei nicht an Praxistipps und persönlichen Empfehlungen des Autors. Trotzdem bleibt immer klar, dass jeder für sich selbst entscheiden muss, welche Methode zu einem passt.
Mein Recht im Netz
Der Ratgeber für die digitale Selbstbestimmung
Peter Apel
Erschienen 2015 bei Stiftung Warentest, Berlin
Unter Mitarbeit von Peter Knaak
ISBN: 978-3-86851-374-5
19,90 EUR
Special: Der Autor Peter Apel im Interview

Herr Apel, hinter dem Titel „Mein Recht im Netz“ vermutet man zuerst keine detaillierte Anleitung, wie man eine Dokumentation für seinen digitalen Nachlass erstellen kann. Hängt das mit der engen Begriffsdefinition zusammen, die Sie für digitalen Nachlass verwenden? (Mit „digitaler Nachlass“ bezeichnen Sie auf S. 188 lediglich das „Schriftstück, in dem geregelt wird, wie mit den einzelnen Positionen der eigenen digitalen Identität umzugehen ist.“ Im öffentlichen Dialog zeichnet sich gerade eine weitere Definition ab: Digitaler Nachlass als Gesamtheit aller Spuren, die von einem Menschen nach seinem Tod im Netz zurückbleiben.)
Es geht bei „Mein Recht im Netz“ um „die digitale Selbstbestimmung“, wie der Untertitel ja auch besagt. So behandeln die ersten 3 Kapitel (Seiten 13-79) „klassische“ Sicherheitsthemen für digitale Daten. Es geht heute aber nicht mehr nur um die Frage nach dem besten Virenscanner, sondern um die Gesamtheit der persönlichen Daten, die man im Netz hinterlässt.
Die nächsten Kapitel widmen sich deshalb genau der Frage, wie man alle seine digitalen Aktivitäten im Überblick behält und so dokumentiert bzw. aufbereitet, dass jemand anders im Notfall übernehmen und kompetente Entscheidungen treffen kann.
Das Wort „Nachlass“ wird also im Sinne eines dokumentierten Willens verstanden. Der digitale Nachlass bezieht sich dabei auf alle Positionen oder Spuren der eigenen digitalen Identität.
In der Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser Wille, was mit den digitalen Identitäten und Aktivitäten nach dem Tode geschehen soll, oft für die Nachkommen nicht erkennbar ist. Das Buch ist unter anderem hierzu ein hands-on-Ratgeber: so formuliert man diesen Willen konkret.
Sie empfehlen Ihren Lesern, weder Passwörter noch eine Dokumentation zum digitalen Nachlass auf Papier festzuhalten. Dies schränke die Sicherheit zu stark ein (S. 85). Warum? Papier lässt sich doch z.B. in einem Schließfach verwahren?
In meinem Buch werden bei einigen grundsätzlichen Fragen die verschiedenen „Pros und Kons“ einander gegenübergestellt. In Ihrem Beispiel: eine Papierdokumentation der „digitalen Identität“ mit allen Passwörtern hat durchaus ihre Vorteile. Sie ist einfach erstellt, völlig „unelektrisch“ (kann man auch bei Kerzenlicht lesen) und vor Gericht derzeit besser verwertbar als z.B. ein PDF oder Word-Dokument auf einem Stick. Und im Bank-Schließfach ist sie auch recht sicher, keine Frage. Allerdings: handschriftlich sollte sie sein, denn sonst gibt es sie ja nochmal, irgendwo auf dem Rechner.
Das ist ein guter Übergang zu den „Kons“: Passwörter soll man von Zeit zu Zeit ändern, außerdem kommen fast wöchentlich neue Konten mit neuen Passwörtern hinzu. In 5 Jahren werden alle unsere Transaktionen online ablaufen. Bis dahin wird noch einiges zu digitalisieren sein. Häufiger als man denkt ändert sich auch die technische Umgebung, Geräte werden ausgetauscht und weitere kommen hinzu, denken Sie nur an Internet 4.0. Oder das Betriebssystem erfährt einen update, der Telekommunikations-Provider wird gewechselt und kommt mit neuen Zugangsdaten, statt dropbox verwendet man nun Google-Drive, die backups sichert man nicht mehr auf DVDs sondern in der Cloud, man zieht um, man heiratet oder trennt sich – die Aufzählung kann man noch lange fortsetzen. All dies sollte irgendwo in der digitalen Dokumentation abgebildet sein.
Die Fülle der Themen, die hohe Dynamik und gleichzeitig die Anforderung, diese Informationen jederzeit verfügbar zu haben, auch am Wochenende, auch im Urlaub oder auf Geschäftsreisen, sprechen aus meiner Sicht klar gegen ein handschriftliches Schriftstück im Schließfach. Es ist zu unpraktisch, das macht man einfach nicht, nicht Monat für Monat über viele viele Jahre.
Und so entstehen dann Mischlösungen, einiges, zunehmend veraltet, liegt im Schließfach, die spannenden neuen Themen finden sich aber auf irgendwelchen digitalen, raffiniert versteckten Listen. Man verliert selbst mit der Zeit den Überblick. Nachkommen sind komplett verwirrt und sicher ist das Ganze dann sowieso nicht mehr. Eine verschlüsselte digitale Dokumentation in der Cloud und ein Passwort-Safe kennen all diese Probleme nicht. Und sie sind billiger als das Bankschließfach.
Sie raten Hinterbliebenen davon ab, eine Todesnachricht zu früh über die sozialen Netzwerke zu verbreiten. Warum?
Ich rate in dem Buch davon ab, den Betreibern sozialer Netze wie auch den E-Mail-Providern zu früh mitzuteilen, dass ein Mitglied verstorben ist. Wenn mit dieser Information auch plausible Belege wie eine Sterbeurkunde übergeben werden, dann werden solche Konten vom Provider sofort und unwiderruflich in einen anderen Status versetzt. Yahoo etwa löscht gleich das ganze E-Mail-Konto, Facebook stellt das Mitglieds-Konto in den „Gedenkzustand“, Google setzt es auf inaktiv und so fort.
Entscheidend ist: In diesem Zustand kann man mit dem Konto dann nichts mehr machen, nichts löschen, ändern, umstellen oder oder.
Bei sozialen Netzen können ärgerliche bis pietätlose Situationen entstehen, wenn man zum Beispiel die albernsten Bilder nicht noch entfernen kann.
Bei E-Mail-Konten ist es etwas schlimmer. Denn E-Mail-Konten sind einerseits Schlüssel zu vielen anderen Konten (Shopping, Spiele, Portale etc.).
Die Zugänge sind dann fort. An den Konten hängen außerdem oft Adressen und Termine. Die sind dann auch alle weg. Wer einmal Traueranzeigen verschicken musste, weiß, wie blöd es ist, die Namen und Adressen der besten Freunde nicht zu kennen. Und das wichtigste: über E-Mail läuft die Online-Kommunikation. Das ist trivial, klar, aber wenn das E-Mail-Konto vom Verstorbenen geschlossen ist, dann kommen auch alle E-Mails an dieses Konto nicht mehr an. Die Orderbuch-Infos vom geheim gehaltenen Online-Banking-Depot nicht, die Nachrichten zur aktuellen eBay-Auktion nicht und die Gewinn-Mitteilung vom bisher unentdeckten Online-Zocker-Portal auch nicht.
Darum ist meine wichtigste Botschaft: E-Mail-Konten von Verstorbenen erst so spät wie möglich löschen, erst, wenn alles erledigt ist und alle Online-Aktivitäten des Verstorbenen beendet sind.
Ob man ein digitales Erbe für einen nahestehenden Menschen verwalten möchte, muss gut überlegt sein. Könnten Sie sich einen Fall vorstellen, in dem Sie diese Aufgabe ablehnen würden?
Ja, durchaus. Zum Beispiel, wenn dieser nahestehende Mensch eine Familie (im weiteren Sinn) hat, die schon jetzt zerstritten ist oder zumindest einige besonders streitsüchtige Mitglieder hat. Dann wird es auch absehbar Streit um das digitale Erbe geben. Bis zu einem gewissen Punkt ist das normal und aushaltbar. Aber wenn ich jetzt schon weiß, dass das ein einziges Hauen und Stechen wird – muss ich nicht haben.
Ist schon eine Aktualisierung des lesenswerten Ratgebers geplant (Stichwort Schnelllebigkeit im Netz)?
Erstmal Dankeschön für das „lesenswert“. Wir waren uns bei der Konzeption und beim Schreiben bewusst, dass sich im WWW Anbieter und Adressen sehr schnell ändern können. Deshalb haben wir uns sehr darauf konzentriert, allgemein gültige Anleitungen zu geben, die sich auf den konkreten Einzelfall leicht übertragen lassen.
Zurzeit ist keine Neuauflage geplant. Wir sind heute aber in der Lage, bei Bedarf schnell mit einer überarbeiteten Nachauflage reagieren zu können. Der Überarbeitungsbedarf wird dann jeweils zeitnah überprüft und eingearbeitet.