Kai Lociks, der erste Vorsitzende des Verbands unabhängiger Bestatter, im Interview rund um das Thema digitale Vor- und Nachsorge.
Kurz zu Ihnen: Wer sind Sie und was machen Sie mit digitalem Nachlass?
Guten Tag, vielen Dank für die Anfrage. Ich freu mich, Ihnen Rede und Antwort stehen zu dürfen. Mein Name ist Kai Lociks (40), ich bin Inhaber eines Bestattungshauses mit 10 Mitarbeitern, das sich seit 1896 in Familienbesitz befindet. Ich bin auch 1. Vorsitzender des Verbandes unabhängiger Bestatter, ein deutschlandweit tätiger Berufsverband für selbstständige und angestellte Bestatter.
Derzeit ist es noch sehr schwer, die Angehörigen für digitalen Nachlass zu sensibilisieren und häufig wird die Notwendigkeit nicht erkannt. Ich halte es jedoch auch für verkehrt, die Angehörigen kurz nach einem schweren Verlust auf einen Facebook- oder Ebay-Account aufmerksam zu machen. Das hat meiner Meinung nach nicht oberste Priorität.
95% unserer Sterbefälle sind älter als 75. Der digitale Nachlass ist in dieser Altersklasse noch sehr übersichtlich, in den nächsten 5 bis 10 Jahren wird sich das aber komplett ändern und eine Regelung wird zur dringenden Notwendigkeit.
Im Moment scheint im Bereich Bestattung und Hinterbliebenenhilfe einiges in Bewegung. Das Thema „digitaler Nachlass“ ist aber auch darüber hinaus in aller Munde – von Tech-Blogs bis zu großen Zeitungen. Daher frage ich mich, was Sie als Verbandsvorsitzender im Markt beobachten. Was sind die wichtigsten Entwicklungen?
Wie häufig in der IT-Branche gibt es „unstrukturierte“ Ideen, mit denen an den Markt gegangen wird. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich meine das positiv. Manche Produkte müssen sich einfach entwickeln und brauchen Zeit und Feedback der Kunden. Nach meiner jetzigen Einschätzung steht die Entwicklung noch ganz am Anfang. Rechtlich gesehen ist der digitale Nachlass noch eine relativ einfache Geschichte, beim digitalen Erbe wird das ganze schon schwieriger. Wer erbt Zugangsdaten und Lizenzen? Wer erbt das Guthaben auf Kundenkonten? Wer erbt den Inhalt der Cloud? Es werden in der digitalen Zukunft vermutlich immer weniger Dinge physisch vorhanden sein. Vieles wird es nur noch als App geben oder in der Cloud gespeichert werden. Ich persönlich nutze Office 360, wer bekommt in diesen Fällen später die Lizenzen zugesprochen und wie kommt der Erbe oder der Rechtsnachfolger an die Zugangsdaten? Was passiert mit den Videos, die z.B. mit der Fire Box erworben wurden, was passiert mit der Musik, die im iTunes Store erworben wurde, wenn der Kontoinhaber stirbt? Können die Firmen, die sich auf digitalen Nachlass spezialisieren, auf den Erbschein warten? Wer wird zu welchen Teilen erben?
Wie viele Anfragen gibt es?
Es gibt derzeit leider weniger Anfragen, als es geben müsste. Viele Angehörige wollen sich mit dem Thema nicht sofort auseinandersetzen oder unterschätzen den Umfang.
Die jetzige Generation 75+ bekommt die Computer i.d.R. von ihren Kindern oder Enkeln eingerichtet, die dann auch die Konten wieder löschen können. Der Bedarf wird sich in den nächsten 5 Jahren aber mit ganz bestimmter Sicherheit drastisch erhöhen.
Wie oft kommt das Thema praktisch vor?
Ich war vor meiner Tätigkeit als Bestatter 15 Jahre als IT-Leiter in einer Firma tätig und bin somit ganz gut mit der Technik vertraut. Wenn junge Menschen sterben, biete ich den Eltern, Partnern oder Freunden an, den Computer, das Tablet oder das Handy „unter die Lupe zu nehmen“. Viele Angehörige trauen sich häufig gar nicht an die technischen Geräte. Als Grund wird aber eher ein postmortaler Vertrauensmissbrauch genannt, als Ahnungslosigkeit. Ich sichte die Geräte und lösche alles sehr Private, ich suche Passwörter und Zugangsdaten und stelle den Angehörigen anschließend eine Liste zusammen. Alles weitere passiert dann nach Absprache. Das passiert ungefähr fünf Mal im Quartal.
Reagiert die Bestatterbranche, in der viele Hinterbliebene den ersten Ansprechpartner suchen, ausreichend schnell?
Nein. Viele Bestatter auf dem Land haben weder eine E-Mail-Adresse, noch eine Homepage. Für einzelne Kollegen ist ein Faxgerät schon Hexenwerk. Wenn ich gar nicht weiß, dass ein Problem überhaupt existieren kann, kann ich natürlich auch wenig dagegen tun.
Reicht löschen?
Der Begriff „löschen“ steht in der IT-Branche für „nicht sichtbar“. Eine einfache Aufforderung zum Löschen oder einen Account zu schließen reicht meiner Meinung nach nicht aus und ist auch nicht zulässig. Der Account oder das Konto darf entweder durch einen Benutzer selbst oder durch den/die Erben, bzw. Rechtsnachfolger, geschlossen oder geändert werden. Eine einfache Vollmacht des Auftraggebers der Beerdigung wird derzeit wohl noch ausreichen, in der Zukunft wird dies aber vermutlich nicht mehr akzeptiert werden können.
Wo ist Nachholbedarf? Was ist noch zu tun?
Nach eigener Recherche habe ich weder bei Ebay oder Amazon noch bei Apple einen Hinweis gefunden, wie nach dem Tod eines Kunden mit dessen Daten umgegangen wird. Ich bin auch kein Experte und habe auch nicht das gesamte „Kleingedruckte“ gelesen, aber in den FAQ habe ich nichts zu diesem Thema gefunden. Es ist dringend notwendig, dass Internetunternehmen eine transparente Nachlassregelung finden.
Werden „Onliner“ vorsorgewilliger?
Das glaube ich nicht, obwohl ich das als Bestatter natürlich hoffe. 😉 Es besteht dann natürlich die Möglichkeit, einem vertrauensvollen Bestatter ein Passwort oder Zugangsdaten, sowie eine Vollmacht zu übergeben, um nach dem Tod alles Notwendige zu regeln. Der Apple-Schlüsselbund macht es im Falle eines Falles natürlich sehr viel einfacher, auf Konten zuzugreifen, diese zu übertragen oder zu schließen. Vielleicht werde ich das als einen weiteren Punkt in unsere Vorsorgeverträge aufnehmen.
Was sollten Hinterbliebene tun?
Offen darüber sprechen und die Dienstleistung ggf. auch einfordern. Jedoch sollte der Tod lediglich bei vielen Portalen gemeldet, jedoch nicht ohne weiteres der Account gelöscht werden, wenn der Rechtsnachfolger/Erbe nicht eindeutig feststeht oder testamentarisch benannt ist.
Was sollten Vorsorgewillige tun?
Sich einen modernen Bestatter suchen. Keinen Handwerker, sondern einen kaufmännischen Dienstleister. Ein guter Bestatter beerdigt nicht nur einen Menschen, sondern ist Dienstleister und wickelt ein Leben ab. Er kümmert sich um alle Belange, hat gute Netzwerke, ist seriös und transparent. Selbstverständlich kann ein gut aufgestellter Bestatter mit kaufmännisch und psychologisch ausgebildetem Personal sowie einer modernen Technik seine Leistung nicht zum Preis eines deutschlandweit tätigen Internetbestatters anbieten. Muss er aber auch nicht. Die Stärke eines guten Bestatters liegt nicht darin, der billigste weit und breit zu sein. Sie bekommen bei einem seriösen Bestatter generell und ohne Aufforderung eine detaillierte Aufstellung ohne versteckte Kosten. Welche Leistungen gewollt sind und gebraucht werden, bestimmt der Kunde und nicht der Bestatter.
Und zum Abschluss eine philosophische Frage: Wohin geht die digitale Trauer-Kultur unserer Gesellschaft?
Zitat von Ron Sommer (ehemaliger Telekom Chef): „Das Internet ist eine Spielerei für Computerfreaks, wir sehen darin keine Zukunft.“ So viel zu Prognosen in der damals jungen, digitalen Welt …
Ich bin in diesem Bereich sehr traditionell und vertrete, obwohl ich ein Technikfreak durch und durch bin, eine sehr eigene, konservative Ansicht. Viele Kollegen sehen das anders als ich. Wir machen Fotos von der Trauerfeier und lassen diese entwickeln. Eine CD oder einen Stick gibt es nur auf ausdrücklichen Wunsch. Der Mensch ist dazu geschaffen, Trauer zu ertragen und zu verarbeiten. Bilder im Kopf verblassen und viele Dinge müssen auch abgelegt werden dürfen. Eine Beerdigung oder einen Verlust digital allgegenwärtig und jederzeit visuell wiederholbar zu machen, halte ich trauerpsychologisch für den falschen Weg. Aber das ist meine persönliche Meinung.
Ich glaube, dass man derzeit ein „Mode-Asthma“ bekommt, wenn man als Bestatter dem Trend der Trauerportale und Kondolenzseiten hinterher läuft. Man sollte als Angehöriger erstmal warten und sich vielleicht nach 3 Monaten die Frage stellen, ob diese Art der öffentlichen Trauerarbeit für einen persönlich notwendig ist.
Ich biete natürlich Kondolenzseiten, eigene Trauerhomepage, QR-Code auf Grabsteinen und viel weiteren digitalen Firlefanz an, aber bisher sind die Aufträge und weitere Nachfrage sehr gering. Unsere Tageszeitung bietet die Traueranzeigen online an. Das nehmen einige Angehörige in Anspruch, aber dass ich einen Markt oder gar einen Trend in diese Richtung erkennen kann, muss ich verneinen.
Aber wie gesagt, ich bin Dienstleister, und wenn jemand einen Wunsch an mich heranträgt, werde ich selbstverständlich alles dafür tun, diesen zu erfüllen. Das ist mein Job, das ist meine Berufung.
Bildnachweise: Porträt Kai Lociks und Bild Seebestattung (c) Bestattungshaus Lociks GbR.
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