Agnieszka Walorska über Tod und User Experience

Agnieszka Walorska (Twitter) war eine der ersten Mitarbeiterinnen von StudiVZ und ist Mitgründerin von Creative Construction. Außerdem hat sie auf der re:publica 2015 über „Death and UX – Digital Afterlife and Digital Legacy“ gesprochen, also „Tod und Nutzererfahrung – Digitales Nachleben und digitaler Nachlass“. Grund genug, diesem Themenfeld auf den Zahn zu fühlen.

Agnieszka M. Walorska
Agnieszka M. Walorska

Du hast im Mai 2015 auf der re:publica einen Vortrag darüber gehalten, was mit unseren digitalen Daten nach dem Tod passiert. Hast du den Eindruck, dass sich in den letzten eineinhalb Jahren etwas getan hat?

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Agnieszka Walorska: Nicht wesentlich. Es fanden punktuelle Verbesserungen statt, aber es hat sich meines Erachtens nichts grundsätzlich verändert, außer dass zumindest häufiger über das Thema gesprochen wird. 

Du hast den Leuten eindringlich gezeigt, wie die Facebook-Profilverteilung zwischen Lebenden und Toten aussehen könnte. Findest du die Vorstellung gruselig?

Finden die meisten Menschen den Tod nicht grundsätzlich gruselig? Man könnte ja auch die Vorstellung gruselig finden, direkt neben dem Friedhof zu wohnen, oder? Ich finde es nicht so viel anders, solange der Unterschied erkennbar ist. Was ich vielleicht nicht als gruselig, aber als unangenehm empfinde, ist, wenn ich nicht erkennen kann, dass es sich auf Facebook um eine verstorbene Person handelt. Demnächst hat ein verstorbener Kumpel von mir Geburtstag und sein Profil ist nicht im Gedenkzustand. Das heißt, ich werde wieder auf Facebook dazu aufgefordert, ihm zum Geburtstag zu gratulieren, und ich werde sehen, wie viele das tatsächlich auch tun werden – unwissend, dass er schon vor fast zwei Jahren verstorben ist.

Also alles löschen? In den Gedenkzustand versetzen? Oder doch lassen, wie es ist?

Letztendlich muss das jeder für sich entscheiden. Ich persönlich habe mich für eine Mischung aus allem entschieden: Bei Facebook für den Gedenkzustand, Twitter, Blogs und Instagram können so bleiben, wie sie sind, die beruflichen Profile wie LinkedIn und Xing sollen gelöscht werden.

Kurz meine Begründung dazu: Ich fände es meinen Freunden und meiner Familie gegenüber unfair, alles zu löschen. Wir löschen doch auch nicht analoge Fotos, Postkarten, Briefe etc., die wir früher einmal von den Verstorbenen erhalten haben, oder? Aber wie viele solcher analoger Artefakte haben wir überhaupt noch? Das meiste ist mittlerweile digital und in Netzwerken geteilt. Ich fände es traurig, wenn ich bei einem verstorbenen Freund nicht auf die gemeinsamen Erinnerungen zugreifen könnte. Was aber passieren kann, wenn man alles so lässt, wie es ist (gerade auf so frequentierten Plattformen wie aktuell Facebook), habe ich schon bei der vorherigen Frage kurz beantwortet.

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Das Thema ist komplex und auf vielen Plattformen alles andere als klar. Außer Google und Facebook hat noch niemand Funktionen dafür. Was wünscht du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir eine universale Nachlass-API oder so etwas in der Richtung. Ich möchte nicht bei jedem Dienst, den ich nutze, lange nach der Möglichkeit suchen müssen, wie ich meine Wünsche in Bezug auf das Nachleben definieren kann. Ich möchte erst recht nicht, dass sich meine Hinterbliebenen durch meine ganzen Accounts wühlen und sich überlegen müssen, welche Handlung wohl in meinem Sinne gewesen wäre. Ich möchte das an einer zentralen Stelle definieren, so dass meine Hinterbliebenen einfach nur noch den Todesnachweis hochladen brauchen. Alles andere sollte dann automatisiert erfolgen. Vielleicht könnte in der Zukunft die Blockchain als Basis für eine solche Lösung verwendet werden.

Als Digitalexpertin unterstützt du mit CREATIVE CONSTRUCTION HEROES Unternehmen rund um Innovationsthemen und digitale Strategien. Spielt das Thema digitaler Nachlass dabei eine Rolle?

Geht so, ehrlich gesagt. Es ist häufig eher das Thema, das man gerne unter den Teppich kehrt. Ich hab als Beraterin mit Menschen zu tun, und die Menschen beschäftigen sich recht ungern damit. Vor allem junge Leute lassen den Gedanken an den eigenen Tod nur ungern zu. Ich würde wahrscheinlich als Beraterin nicht lange überleben, wenn ich gleich dieses Thema auf die Agenda setzen würde 😉 Aber es gibt natürlich diverse Kunden (wie z.B. Versicherungen), bei denen digitaler Nachlass eine große Rolle spielt und auch entsprechend thematisiert wird.

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Es gibt inzwischen einige Vorsorgelösungen, auch auf dem deutschen Markt. Einige Startups waren bei der digina.16 dabei. Worauf sollten Entwickler deiner Meinung nach in Sachen Grafik, User Experience etc. besonders achten, wenn es um das Thema Tod geht?

Grundsätzlich geht es natürlich bei den meisten Applikationen darum, den Nutzer nicht zu überfordern und ihn möglichst einfach zu der erwünschten Aktion zu führen. Bei Anwendungen, die sich mit dem Tod (vor allem dem Tod einer nahen Person) beschäftigen, ist das besonders wichtig. Der Nutzer, der auf dieses Angebot zugreift, ist in der Regel bereits emotional belastet und wir wollen ihn nicht noch zusätzlich belasten. Somit sollte der primäre Fokus die Accessibility (Barrierefreiheit) sein. Sie bedeutet nicht nur Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen oder im höheren Alter, sondern auch für Menschen, deren kognitive Fähigkeiten z.B. aufgrund von Stress oder Trauer belastet sind. Zudem sollten wir auf verspielte und humoristische Elemente verzichten, was allerdings nicht bedeutet, dass die ganze Anwendung düster und traurig wirken soll.

Ich würde eher ein Design empfehlen, das dem Kunden vermittelt, dass er in guten Händen ist, dass er verstanden wird. Ein Gefühl der Wärme und Fürsorge. Ich möchte hier auch die wichtige Bedeutung der Sprache für die gesamte Customer Experience betonen. Hier würde ich von all zu formellen, bürokratischen und komplizierten Formulierungen absehen.

Bei deinem Vortrag hast du auch über Risiken solcher Lösungen gesprochen. Ein aktuelles Beispiel lieferte ja gerade Facebook, als viele Nutzer kurzzeitig für tot erklärt worden sind. Ist beim Thema mehr Sensibilität gefragt, oder sollten wir einfach entspannter damit umgehen?

Mehr Sensibilität, definitiv. Ich persönlich komme recht gut mit schwarzem Humor klar, aber nicht mal ich würde es lustig finden, fälschlicherweise für tot erklärt zu werden. Und erst recht würde ich nicht damit entspannt umgehen, wenn das jemanden in meiner Familie oder in meinem Freundeskreis betreffen würde. Datensicherheit und Privatsphäre sind eigentlich für mich die wichtigsten Bausteine des digitalen Nachlasses. In jeglicher Hinsicht, sei es Post-mortem Privacy (wer kann auf welche Daten nach meinem Tod zugreifen) oder die tatsächliche Feststellung des Todes – es soll sicher sein, dass keine Aktionen, die an die Bedingung meines Todes geknüpft sind, ausgeführt werden, ohne dass ich tatsächlich tot bin.

Wer sich mit Agnieszkas re:publica-Vortrag eingehender beschäftigen will, findet hier auch ihre Präsentation (englisch, Slideshare):

[slideshare id=47857412&doc=150505-republica-prasentation-amw-150507100425-lva1-app6892]

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