(German translation by Dennis Schmolk: Please see the original English version here.)
Die Cryptowährung Bitcoin erreicht wöchentlich neue Höchststände. Die Blockchain (Wikipedia) ist daher ein Dauerthema, man könnte auch sagen: ein Hype. Aber was hat sie für die Frage in petto, wie wir digitale Werte postmortal verwalten? Ein Interview mit Tom Nguyen, Entwickler von „Dead Man’s Block“ (www, devpost, github)
Hi Tom! Danke für dieses Interview. Meine erste Frage: Warum befasst du dich mit Themen rund um Sterben und Nachlässe? Es gibt sicherlich lustigere Themen auf der Welt.
Inhalt
Im Gegensatz zu vielen habe ich den Tod immer als einen natürlichen Teil des Lebens begriffen. Ich frage die Leute gerne: Würdest du wissen wollen, wann genau du sterben wirst? Die meisten reagieren meist empört und sagen nein, aber in Wahrheit kann man ja schon heute recht genau vorhersagen, wann jemand sterben wird. Die generelle Lebenserwartung und Risikomanager von Lebensversicherungen können das schon sehr genau bestimmen.
Worüber hingegen kaum nachgedacht wird, ist die Frage, was nach dem Tod passiert. Die Idee, den eigenen Tod mit Hilfe von Technologie zu planen und zu gestalten kam mir selbst erst, als ich an einem Genealogie-Hackathon teilgenommen habe. Ich habe dann auch öfter davon gelesen, dass Social-Media-Profile Verstorbener zur Belastung für Hinterbliebene werden. Jemand hat mir mal erzählt, dass er seit über zwei Jahren darauf wartet, dass ihm Facebook den Zugang zum Account seiner verstorbenen Vaters gewährt. Und da wurde mir klar: Es gibt einfach keine Lösung für dieses Problem.
Wie kam es zu „Dead Man’s Block“ und wie kamst du auf die Idee eines Blockchain-basierten „Dead Man’s Switch„?
Vor Kurzem fing ich an, mich intensiv mit dem Konzept der Blockchain zu beschäftigen. Ich habe mich jetzt ziemlich genau seit November 2016 eingelesen und angefangen, zu programmieren. Der Hackathon, bei dem ich gewonnen habe, war erst meine zweite Gelegenheit, die Blockchain intensiv und mit klarem Ziel auszuprobieren. Ein paar Tage vor dem Event kam das Thema Tod wieder auf und es hat Klick gemacht: Mir wurde klar, dass die Blockchain die perfekte Plattform ist, um das Problem zu lösen. Und dann bin ich bei der Recherche auf die Idee der Totmanneinrichtung gestoßen. (Anm. d. Ü.: dieses Unwort ist tatsächlich die Übersetzung von „dead man’s switch“, ein Konzept, das z.B. auch bei Googles Inaktivitätsmanager oder dem Notfallkontakt von LastPass zum Einsatz kommt.)
Ich hatte noch nie zuvor davon gehört. Das Prinzip ist in vielen mechanischen Produkten als Sicherheitsvorkehrung enthalten, etwa bei Rasenmähern und Lokomotiven. Das bekannteste Beispiel ist der Bösewicht, der eine Sprengweste trägt, die hochgeht, wenn er den Finger vom Auslöser nimmt.
Der Name blieb bei mir hängen, also wurde daraus der „Dead Man’s Block“. deadmansblock.com war auch noch frei – und damit war die Sache besiegelt.
Ein Fun Fact am Rande: Sowohl Julian Assange als auch Edward Snowden haben „Dead Men Switches“, die auslösen, wenn ihnen etwas zustößt.
Was genau tut „Dead Man’s Switch“ und wie funktioniert es in einfachen Worten?
Ganz einfach gesagt, ist DMB ein sicherer Auslöser, der ein digitales Testament an die rechtmäßigen Erben freigibt, wenn du stirbst. Dabei kann es sich um alles Mögliche handeln, von hochsensiblen Daten wie Vermögenswerten und Social-Media-Accounts bis hin zu weniger kritischen Sachen wie einer Liste von Dingen, die du bereust, geheimen Kochrezepten und Abschiedbriefen. Das System löst unter bestimmten Bedingungen und nach mehrfacher Bestätigung aus, wobei du selbst festlegst, welche Kriterien zutreffen müssen. Auf jeden Fall sind immer drei verschiedene, unabhängige Akteure betroffen: Du selbst, dein vertrautes Umfeld und die Öffentlichkeit, z.B. Ämter.
Der Tod einer Person betrifft ja nicht nur sie selbst, sondern auch die Familie, den Freundeskreis und die ganze Gesellschaft. Alle drei müssen deinen Tod anerkennen und bestätigen. Das kann z.B. so funktionieren: Nachdem du dich eine bestimmte Zeit lang nicht mehr eingeloggt hast, um zu bestätigen, dass du noch lebst, kontaktiert das System deine Freunde oder Familie, die dann deinen Tod bestätigen können. Falls sie das tun, muss eine zusätzliche öffentliche Stelle – zum Beispiel ein Notar oder ein Gerichtsmediziner – ebenfalls deinen Tod feststellen. Dadurch werden Betrugsfälle und Systemfehler nahezu ausgeschlossen.
Ist diese Lösung sicher und zuverlässig?
Durch die Blockchain wird überhaupt erst etwas Sicheres aus der Idee. Sobald wir die Verschlüsselung (und die Verwaltung der Schlüssel) organisiert haben, wird es keine sicherere Lösung auf der Welt geben. Über die Zuverlässigkeit kann ich erst nach weiteren Tests mehr sagen. Es wird in der Lebenspraxis natürlich immer Randfälle geben, in denen es gelingt, die Sicherheit auszutricksen: Man könnte dich zum Beispiel entführen. Oder die Familie verschwört sich, um dir dein Eigentum abzunehmen. Aber in 99,99% aller Fälle wird das System funktionieren.
Bleibt „Dead Man’s Block“ eine offene Plattform – und denkst du, das ist ein zentrales Kriterium für digitale Nachlass-Lösungen?
Blockchains sind schon konzeptionell „offen“: Mit der vertrauenslosen, dezentralen Architektur geht zwingend einher, dass alles offen und sichtbar zwischen den Knoten ausgetauscht wird. (Anm. d. Red.: natürlich bleiben die Inhalte der Kommunikation verschlüsselt und damit unlesbar, aber ihre Existenz ist sichtbar.) Alles wird vom „Smart Contract“ kontrolliert, keine Einzelperson kann sie manipulieren. Nur du besitzt das, was du der „Kette“ hinzufügst. Und ja, das halte ich für ein notwendiges Kriterium, wenn Leute hochsensible Daten dort ablegen sollen. Und darum geht es bei digitalen Testamenten ja. Und Offenheit ist auch wichtig, damit dritte Parteien, etwa durch Plugins, den Dienst erweitern und besser machen können.
Denkst du, die Blockchain ist anderen Datenbanken überlegen, wenn es um die Verwaltung digitaler Testamente und Willenserklärungen geht?
Definitiv. Die Blockchain ist die beste heute bekannte Technologie für diesen Fall. Wichtig ist: Es muss sich um eine Public Blockchain, also eine öffentliche und vollkommen dezentrale Blockchain handeln. Keiner Person oder Gruppe darf es möglich sein, sie zu kontrollieren.
Zum Schluss werfen wir noch einen Blick in die Glaskugel: Was bringt die Blockchain in der Zukunft?
Die heutige Blockchain ist wie das Internet 1994, 1995: Außer Bitcoin stecken fast alle Anwendungen noch in den Kinderschuhen. Aber sie gewinnt gerade massiv an Geschwindigkeit, was nicht zuletzt an den Interessen der verschiedensten Branchen liegt. Ihre Herausforderungen – Skalierbarkeit und Datenschutz – werden wohl dieses Jahr auf der Ethereum-Chain gelöst werden.
Machen wir uns nichts vor: Die Blockchain ist ein integraler Bestandteil der fantastischen Zukunft, die vor uns liegt. Sie wird alle Bereiche der Gesellschaft tiefgreifend demokratisieren, und das nicht nur lokal, sondern global. Die Blockchain verändert alles.
1 Gedanke zu „Digitaler Nachlass via Blockchain: Die Zukunft der digitalen Identitäts-Verwaltung?“