Neben unseren Recherchen und Gesprächen haben wir es uns auch zur Aufgabe gemacht, die Literatur zum Thema digitaler Nachlass im Blick zu behalten. Die Texte, die wir relevant finden, nehmen wir in unsere digital.danach-Mediathek auf. Die wissenschaftliche Arbeit von Antonia Kutscher mit dem Titel „Der digitale Nachlass“ gehört dazu. Birgit Aurelia Janetzky hat sich die Arbeit genauer angeschaut. Die daraus entstandene Rezension veröffentlichen wir hier als Gastartikel.
Antonia Kutscher – Digitaler Nachlass – V&R unipress 2015
Inhalt
Den digitalen Nachlass kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, je nach Forschungsinteresse kommen rechtliche, praktisch technische oder emotionale Fragen in den Blick. Antonia Kutscher greift mit ihrer Dissertation ein aktuelles Thema auf. Herausgekommen ist ein umfassender Überblick über alle rechtlichen Bereiche und Fragestellungen im Umgang mit Accounts des Erblassers, E-Mails, online nutzbaren Contents, Daten in der Cloud, Onlineshops und Bezahlsysteme auf Basis virtueller Konten. Die neuen Technologien bringen auch aus juristischer Sicht neue Fragen.
Wenn man bedenkt, dass rein statistisch gesehen in jeder Minute drei Facebook-Nutzer sterben (s. Brucker-Kley u.a., Sterben und Erben in der digitalen Welt, 2013) wird schnell deutlich, dass uns das Thema auch in Zukunft noch weiter beschäftigen wird. Uns, das meint, die Erben, die Angehörigen, die Beratenden, die Rechtsprechung, im Grunde genommen jeden Internetnutzer, der sinnvollerweise eine digitale Vorsorge für den Fall seines eigenen Ablebens treffen sollte.
„Wer zum digitalen Nachlass Informationen bereitstellt, steht vor einer großen Herausforderung.“
Wer zum digitalen Nachlass Informationen bereitstellt, steht vor einer großen Herausforderung. Zum einen braucht die Öffentlichkeit rechtliche Informationen in vereinfachter, verständlicher Form. Auf der anderen Seite ist die Materie alles andere als einfach. Die Vertragsbeziehungen sind komplex, datenschutz- und telekommunikationsrechtliche Aspekte müssen mit einbezogen werden. Durch die vielen internationalen Anbieter muss danach gefragt werden, welches Recht überhaupt Anwendung findet und ob die Aussagen in den AGB der Anbieter einer rechtlichen Überprüfung standhalten.
Recht haben – und Recht bekommen …
Wer hier mit seinem Interesse und seiner Rechtsauffassung an den vorhandenen Regelungen strandet, steht als Einzelperson oder selbst als Organisationen (wie die Verbraucherzentralen) internationalen Großkonzernen gegenüber, gegen die Prozesse zu führen langwierig und teuer ist. Erstmals hat sich ein deutsches Gericht mit der Frage befasst, inwieweit digitale Daten auf die Erben eines Verstorbenen übergehen. In dem konkreten Fall hatte die Mutter eines 15-jährigen Mädchens auf Zugang zu dem Facebook-Account ihrer Tochter geklagt. Das Mädchen war unter bisher ungeklärten Umständen verunglückt. Die Mutter erhoffte sich Hinweise darauf zu erhalten, ob es sich bei dem Unglück um einen Suizid gehandelt haben könnte, und wenn ja, welche Motive diesem zugrunde lagen (s. Urteil des Landgerichts Berlin vom 17.12.2015; Az. 20 O 172/15). Das Gericht hat die rechtlich teilweise vertretene Auffassung, dass für die Frage der Vererblichkeit des digitalen Nachlasses zwischen den vermögensrechtlichen und den nicht-vermögensrechtlichen Inhalten zu unterscheiden sei und nur die vermögensrechtlichen Teile auf die Erben übergehen sollen, ausdrücklich abgelehnt. Dieses Urteil erfolgte nach der Veröffentlichung von Kutschers Dissertation, die die Rechtsprechung bis Februar 2015 gesichtet hat.
„Kontoinhaberschaft wird rechtlich anders behandelt als die Inhalte und der Zugang zu diesen.“
Laut Antonia Kutscher ergeben sich rechtliche Probleme aus der Tatsache, dass die Erben zunächst Kenntnis über die Nachlassverbindlichkeiten erhalten müssen. Die Accounts müssen zunächst überhaupt gefunden werden. Bei Konten ohne Identitätsnachweis muss nachgewiesen werden, dass der Verstorbene der Nutzer war und die Erben müssen sich legitimieren.
Juristische Details
Neben diesen praktischen Fragen wendet sie sich dann den grundsätzlichen rechtlichen Fragen zu:
- Haben Erben das Recht, im Nachlass aufgefundene Zugangsdaten zu nutzen und sich so Zugang zu den Inhalten zu verschaffen?
- Haben sie gegenüber dem Provider einen Anspruch auf Auskunft oder Zugang?
- Welcher Art sind die vertraglichen Beziehungen?
- Wer ist eigentlich der Rechtsnachfolger des digitalen Nachlasses, die Erben oder die nächsten Angehörigen?
- Sind die Regelungen aus dem Erbrecht einfach so auf die Online-Welt übertragbar?
Die rechtliche Bewertung ist kaum problematisch, wenn die Inhalte auf einem physisch vorhandenen Datenträger (Festplatte, USB-Stick) vorliegen. Daten in Internetaccounts jedoch befinden sich in der Regel allein auf dem Server des Providers. Hier gibt es kein vererbbares Eigentum, sondern die Erben treten in einen Nutzungsvertrag ein. In diesem gelten aber andere Regeln: Höchstpersönliche bzw. nichtvermögenswerte Rechte gehen unter. Vereinfacht gesagt: Kontoinhaberschaft wird rechtlich anders behandelt als die Inhalte und der Zugang zu diesen.
Ein Fazit
Was ich auch als rechtlicher Laie aus dieser Veröffentlichung lerne: Rechtsmeinungen sind noch keine Rechtsprechung. Auch die Juristen tasten sich erst nach und nach an die Materie heran, stellt sie doch besondere Anforderungen. Bei genauerem Hinsehen ist eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtspositionen betroffen, wobei jede für sich betrachtet werden muss. Kutscher sieht den digitalen Nachlass trotz der auf der Hand liegenden praktischen Notwendigkeit als juristisch kaum erschlossen an. Mit ihrer Dissertation gibt sie einen Überblick über die Fragestellungen und diskutiert deren rechtliche Einordnung.
Das Buch ist in erster Linie für Juristen und mit juristischen Fragestellungen beschäftigten Menschen interessant. Den Juristen sei das Buch ans Herz gelegt, da viele von Ihnen sich noch nicht mit den Besonderheiten des digitalen Nachlasses vertraut gemacht haben. Doch es ist abzusehen, dass immer mehr Menschen in diesem Themenbereich Beratung suchen werden, sei es für die eigene Vorsorge für den digitalen Nachlass, sei es für Durchsetzung ihrer Interessen.
Die rechtliche Diskussion in ihren Einzelheiten dieser Dissertation werden juristische Laien nicht nachvollziehen und nicht einordnen können. Doch die Lektüre vor allem des ersten Kapitels, in dem es um die rechtliche Einordnung der Accounts, und des letzten Kapitels, in dem es um die Gestaltungsmöglichkeiten geht, sind hilfreich, um vorschnelle, nicht praktikable oder rechtlich fragwürdige Aussagen zu vermeiden.
Das Buch:
Antonia Kutscher
Der digitale Nachlass
Als E-Book 27,99 €
Auflage 2015, 193 Seiten
ISBN 9783847004363
Als Buch 35,00 €
1. Auflage 2015, 193 Seiten gebunden
ISBN 9783847104360
V&R unipress
Die Rezensentin:
Birgit Aurelia Janetzky, Semno Consulting
Beratung an der Schnittstelle von #Mensch #Tod #Internet
www.semno.de
www.digitale-vorsorge.de